Der spanische Blackout – und wer als Nächstes im Dunkeln stehen könnte
Ein kommentierter Überblick auf Basis der Ontonix-Analyse
1 | Warum wir diesmal nicht das Netz, sondern die Stromerzeugung untersuchen
Nach dem großflächigen Stromausfall in Spanien zeigte sich, dass es bereits Tage zuvor Frühwarnsignale einer steigenden Fragilität gab – allerdings nicht im Netz selbst, sondern in der Struktur der Stromerzeugung. Komplexitätsanalysen können solche Signale sichtbar machen und so Zeit für Gegenmaßnahmen schaffen.
2 | Datenbasis & Kennzahlen
Für sechs Länder – Österreich, Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien und die Schweiz – wurden die Weltbank-Indikatoren der Jahre 1960 – 2023 ausgewertet. Zehn Messgrößen geben einen umfassenden Blick auf Verbrauch, Verluste und Erzeugungsmix (Kohle, Gas, Öl, Kernkraft, Wasser, sonstige Erneuerbare).
Der Schwerpunkt liegt auf der Komplexität der tatsächlichen Stromerzeugungssysteme in bestimmten europäischen Ländern. Die Analyse basiert auf den Daten der Entwicklungsindikatoren, die auf der Website der Weltbank verfügbar sind. Die betrachteten Länder sind: Österreich, Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien und die Schweiz, und die Indikatoren sind:
- Elektrischer Stromverbrauch (kWh pro Kopf)
- Verluste bei der Stromübertragung und -verteilung (% der Produktion)
- Stromerzeugung aus Kohle (% der Gesamtmenge)
- Stromerzeugung aus Wasserkraft (in % der Gesamtmenge)
- Stromerzeugung aus Erdgas (in % der Gesamtmenge)
- Stromerzeugung aus Kernenergie (% der Gesamtmenge)
- Stromerzeugung aus Erdölquellen (% des Gesamtwertes)
- Stromerzeugung aus Öl-, Gas- und Kohlequellen (in % des Gesamtwerts)
- Stromerzeugung aus erneuerbaren Energiequellen, ohne Wasserkraft (in % des Gesamtwertes)
- Elektrizitätserzeugung aus erneuerbaren Energiequellen, ohne Wasserkraft (kWh)
Die oben genannten Parameter werden jährlich für den Zeitraum 1960-2023 gemeldet. Die Analyse der Daten für das letzte verfügbare Jahrzehnt (1993-2023) ergibt für jedes Land getrennt die folgenden Ergebnisse: Spaniens Energieerzeugungssystem ist bei weitem das komplexeste, gefolgt von dem Österreichs, während die Systeme der Schweiz und Frankreichs am anderen Ende des Spektrums liegen. Die Größe der Quadrate auf der Diagonale spiegelt den Einfluss der einzelnen Variablen auf das gesamte System wider. Diese Knotenpunkte zeigen an, wo sich die kritischen Punkte konzentrieren könnten.
Vergleich:
Spanien
Österreich
die Schweiz als Land mit dem am wenigsten komplexen Energieerzeugungssystem:
Zum Schluss noch der interessante Fall Deutschland,
Im Falle Deutschlands sind die Auswirkungen der erneuerbaren Energien auf die Komplexität des deutschen Energieerzeugungssystems gelinde gesagt dominant. Hüten Sie sich vor der Dunkelflaute.
Diese Informationen bedeuten nicht, dass die Komplexität eines Energieerzeugungssystems die des Stromnetzes bestimmt. Wie zu erwarten ist, hängen die beiden Komplexitäten jedoch sicherlich zusammen. Erklärt dies den jüngsten Stromausfall in Spanien? Möglicherweise.
Die oben genannten Ergebnisse wurden durch die Analyse jedes einzelnen Landes erzielt. Da jedoch alle Stromnetze miteinander verbunden sind, da die Länder Energie importieren und exportieren, wurde eine systemische Analyse durchgeführt, bei der alle sechs Länder zusammen als Teil eines großen Systems betrachtet wurden. Das interessante Ergebnis, über das im Folgenden berichtet wird, ist der Einfluss der einzelnen Länder auf die Komplexität dieses riesigen Supersystems:
Deutschland leistet den größten Beitrag, gefolgt von Spanien (überraschend?), während die Schweiz und Frankreich wiederum am unteren Ende des Komplexitätsspektrums liegen. Das bedeutet nicht, dass der nächste große Stromausfall Deutschland treffen wird, aber wenn man auf der Grundlage der obigen (sehr einfachen) Analyse wetten müsste, wäre Deutschland die logische Wahl. Außerdem hat das deutsche Energieerzeugungssystem einen wichtigen Knotenpunkt (eine Schwachstelle?) – die erneuerbaren Energien. Ihnen fehlt nicht nur die nötige Trägheit, um für Stabilität zu sorgen, sie funktionieren auch nur, wenn die Natur es so will.
Das letzte Ergebnis deutet auch darauf hin, dass die Folgen eines schweren Stromausfalls in Deutschland potenziell größer wären als die eines solchen in Frankreich. Angesichts der immensen Komplexität des kontinentaleuropäischen Synchrongebiets, das über 400 Millionen Bürger versorgt, sind solche Aussagen jedoch mit Vorsicht zu genießen. Im Jahr 2003 gab es beispielsweise in Italien einen 12-stündigen Stromausfall, der in der Schweiz seinen Anfang nahm.
Was kann man tun, um massive Stromausfälle zu verhindern? Mit Hilfe von Analysen, künstlicher Intelligenz oder anderen Techniken lässt sich nur wenig ausrichten. Aufgrund der schieren Komplexität sind solche Ereignisse glücklicherweise sehr selten und alle einzigartig. Hier gibt es kein Muster zu erkennen. Maschinelles Lernen wird nicht funktionieren.
In der Zwischenzeit ist die Widerstandsfähigkeit dieses kombinierten Stromerzeugungssystems im Laufe der Jahrzehnte immer weiter gesunken:
Von etwa 70 % in den 1970er Jahren ist sie auf heute 60 % gesunken. Wohin wird uns das führen? Sind Stromausfälle unvermeidlich, genau wie die Zusammenbrüche der Finanzmärkte? Wie viele solcher Schwarzen Schwäne können wir und unsere Volkswirtschaften verkraften? Was kann man tun?
Bei Systemen mit ähnlicher Dimension und Komplexität scheint es einen Ansatz zu geben – die Überwachung von Komplexität und Belastbarkeit mit Hilfe innovativer Techniken wie dem QCM (Quantitative Complexity Management) von Schlüsselstandorten, Systemen und Geräten in den nationalen Stromnetzen und die Beobachtung von Komplexitätsspitzen oder plötzlichen Schwankungen derselben. Damit lassen sich beeindruckende Frühwarnungen geben, die mit herkömmlichen und selbst mit den neuesten Analysetechniken nicht möglich sind. In den letzten fünfundzwanzig Jahren kam es im Durchschnitt zu einem großen Stromausfall pro Jahr, siehe Liste.
„Nach Branchenberichten kosten Stromausfälle die US-Wirtschaft jährlich zwischen 18 und 33 Milliarden Dollar…. Stromausfälle stellen für Unternehmen eine erhebliche finanzielle Belastung dar: Jedes vierte Unternehmen in den USA hat monatliche Stromausfälle zu verzeichnen, was der Wirtschaft jährliche Kosten in Höhe von 150 Milliarden Dollar verursacht.“ (Quelle). Auch wenn es nicht möglich ist, Stromausfälle gänzlich zu verhindern, so sind doch Strategien zur Schadensbegrenzung verfügbar, die auf der Komplexitätsüberwachung durch QCM basieren und sofort eingesetzt werden können.
3 | Wer hat das komplexeste Erzeugungssystem?
Eine Dekadenanalyse (2013 – 2023) zeigt:
Rang | Land | Haupttreiber der Komplexität | Kurzfazit |
---|---|---|---|
1 | Spanien | Vielschichtiger Mix, mehrere „kritische Knoten“ | Höchste Komplexität → erhöhtes Störpotenzial |
2 | Österreich | Starker Wasser- & Renewables-Anteil | Robust, aber viele Abhängigkeiten |
3 | Italien | Ausgewogener Mix | Mittel |
4 | Deutschland | Erneuerbare als dominanter Hub („Dunkelflaute-Risiko“) | Komplex – ein einziger Großknoten |
5 | Frankreich | Kernkraft dominiert | Vergleichsweise schlicht |
6 | Schweiz | Wasser & Importe | Niedrigste Komplexität |
Interpretation: Je größer und dichter die Knoten in der Complexity Map, desto mehr Last liegt auf einzelnen Variablen – genau dort können Störungen eskalieren.
4 | Das System-of-Systems: Deutschland als größter Risikoverstärker
Stromnetze enden nicht an Landesgrenzen. Wird das Gesamtsystem der sechs Länder als eine Einheit betrachtet, trägt Deutschland am meisten zur Gesamtkomplexität bei, gefolgt von Spanien. Schweiz und Frankreich belasten das System am wenigsten. Artificial Intuition
Was heißt das? Ein Blackout in Deutschland hätte – rein rechnerisch – die größten Folgewirkungen auf das kontinentale Verbundsystem, weil dort die Knoten-Komplexität am höchsten ist.
5 | Schrumpfende Resilienz seit den 1970ern
Der Widerstand des Gesamtsystems gegen Störungen fiel laut Ontonix-Messung von rund 70 % (1970er) auf etwa 60 % heute. Komplexität steigt schneller, als Redundanzen aufgebaut werden – ein klassisches Zeichen für abnehmende Resilienz. Artificial Intuition
6 | Warum klassische Analytik zu kurz greift
Großflächige Blackouts sind selten und einzigartig – es existieren kaum ausreichend gleichartige Fälle, um Machine-Learning-Modelle zu trainieren. Mustererkennung stößt hier an Grenzen. Ontonix plädiert stattdessen für kontinuierliches Komplexitäts-Monitoring (QCM): Spitzen oder abrupte Veränderungen dienen als Frühwarnindikatoren, bevor sich Störungen kettenartig ausbreiten.
7 | Was Betreiber jetzt tun können
- Komplexität messen – nicht nur „klassische“ Kennzahlen.
- Hubs identifizieren – wo kumulieren Abhängigkeiten?
- Redundanzen stärken – Reserveleistung, Speicherkapazitäten, Inselbetriebs-Optionen.
- QCM-basierte Frühwarnsysteme pilotieren – besonders an Schlüsselumspannwerken und -kraftwerken.
- Länderübergreifende Szenarien üben – Blackouts kennen keine Grenzen.
8 | Fazit
Der spanische Blackout war kein Zufall, sondern das bisher sichtbarste Symptom eines zunehmend komplexen europäischen Energiesystems. Komplexität ist kein Schicksal – doch sie verlangt neue Messmethoden und ein Umdenken bei Resilienzstrategien. Wer heute Investitionen in Monitoring scheut, könnte morgen im Dunkeln tappen.
Quelle: „The Spanish Blackout and Who is Next?“, Artificial Intuition, veröffentlicht am 18. Mai 2025. Artificial Intuition