Autodoc: Lektionen aus einem geplatzten Börsengang

(c) Prof. Dr. Christoph Ph. Schließmann – Alle Rechte vorbehalten.

Im Juni 2025 wollte Autodoc, Europas führender Online-Händler für Autoersatzteile, mit einer Bewertung von bis zu 2,4 Mrd. € an die Frankfurter Börse gehen. Kurz vor dem Prime‑Standard‑Debüt wurde der IPO jedoch zum zweiten Mal verschoben. Dieses Ereignis zwingt dazu, die strategische Ausrichtung anhand des Strategie-Würfels kurz zu beleuchten.

1. Rückblick: Vom Wachstum zum IPO-Abbruch

  • Gründung & Wachstum: Seit 2008 steuern Gründer Erdle, Kungel & Wegner Autodoc von Berlin aus und erzielten 2024 einen Umsatz von 1,6 Mrd. € (+18,9 %) bei 150 Mio. € bereinigtem EBITDA.
  • IPO-Planung: Secondary-Only‑Deal, keine Kapitalerhöhung; Aktienpreis 58–61 € (2,3–2,4 Mrd. €). Börsengang wegen dünner Nachfrage und makroökonomischer Volatilität kurzfristig ausgesetzt.

2. Unternehmensprofil & Marktdynamik

  • Kernkompetenz: Eigene IT-Plattform, > 2 Mio. SKUs, zentrale Logistik in 13 Ländern, Service für B2C (90 % Umsatz) und B2B (Autodoc Pro, +174 % Q1/2025).
  • Aftermarket-Umfeld: Europäischer Markt > 200 Mrd. €; prognostiziertes Wachstum bis 2035 nur +0,5 % p.a. (BCG). Elektromobilität reduziert Teilebedarf signifikant.
  • Makro‑Risiken: US-Zölle, geopolitische Spannungen erhöhen Volatilität; Wettbewerbsdruck durch Plattformriesen und OEM‑Kanäle.

3. Positionsbestimmung im Strategie-Würfel Die strategische Lage von Autodoc wird durch die drei Achsen X (Marktposition), Y (Rentabilität) und Z (Lebensfähigkeit) differenziert bewertet:

AchseKennzahl / BeobachtungScore (0–3)Kategorie
X: Relative Marktposition im SRMGrößter Online-Aftermarket-Händler, 27 Länder, starke Markenbekanntheit2,5A
Y: Rentabilität im SRMBereinigte EBITDA-Marge 9–10 %, profitables Wachstum, aber enge Margen im Onlinehandel2,0B
Z: Lebensfähigkeit im SRMSystemische Risiken durch EV-Trend, Volatilität; Agilität (7/10), Robustheit (6/10)1,8C

Gesamtposition im 3×3×3-Würfel: X=A, Y=B, Z=C (AC / B-Lage)

Interpretation: Autodoc genießt eine starke Marktpräsenz (X=A) und solide Profitabilität (Y=B). Die Lebensfähigkeit (Z) zeigt jedoch mittelfristige Risiken aufgrund struktureller Marktentwicklungen und makroökonomischer Einflüsse.

4. Systemische Vertiefung der Z-Achse Um Z präzise zu adressieren, wird die Viabilitätsformel aus dem Strategie-Würfel herangezogen:

  1. Komplexität (8/10): Hohe Informationsdichte (2 Mio. SKUs, länderspezifische Regularien), starke Interdependenzen.
  2. Agilität (7/10): Schnelle Einführung neuer Artikel, modulare IT & Logistik, Data-Analytics-Pilotprojekte für EV-Teile.
  3. Robustheit (6/10): Dual‑Sourcing, Puffervorräte, redundante Lager in Osteuropa.

Lebensfähigkeit = Komplexität / (Agilität × Robustheit) ≈ 8/(7×6) = 0,19 Ein Wert < 0,3 signalisiert mittelfristige Viabilitätsrisiken.

Simulative Verbesserung: Steigerung von Agilität auf 8 und Robustheit auf 7 reduziert den Wert auf 8/(8×7)=0,14.

5. Szenario‑Analyse bis 2035

SzenarioX-TrendY-TrendZ-Trend
Best-Case+0,2 (Marktplatz-Expansion)+0,3 (Margensteigerung)+0,4 (EV-Service, KI-Logistik)
Base-Case0+0,1 (moderates Wachstum)–0,1 (EV-Einschnitt)
Worst-Case–0,3 (starke Konkurrenz)–0,2 (Preisspirale)–0,4 (Supply-Chain-Schocks, EV)

6. Handlungsempfehlungen zur Würfeldimensionierung

  • X (Marktposition) stärken
    • Marktplatz-Modell für Drittanbieter selektiv öffnen
    • Netzwerk-Community für Werkstätten aufbauen
  • Y (Rentabilität) optimieren
    • Einführung von Premium-Service-Abonnements (Wartungspakete)
    • Cross-/Upselling im B2B mit Analyse- und Schulungs‑Offers
  • Z (Lebensfähigkeit) verbessern
    • KI-gestütztes Demand Forecasting und API-ERP-Integration
    • Erweiterung der Lagerstandorte (Südeuropa/UK) und OEM‑Partnerschaften
    • Daten-Standardisierung und Produktbündelung zur Komplexitätsreduktion

7. Zeitplan & IPO-Ausblick

  • Kurzfristig (0–6 M): Initiierung von KI‑Forecast-Pilotprojekten, Aufbau weiterer Lager
  • Mittelfristig (6–18 M): Rollout B2B-Plattform, ERP-API, Datenprozesse standardisieren
  • Langfristig (> 18 M): Zweiter IPO-Anlauf bei stabilerer Volatilität, strategische Akquisitionen

Fazit Autodoc verfügt über eine starke Marktposition und solide Profitabilität, doch die Lebensfähigkeit steht unter Druck. Durch fokussierte Maßnahmen in Agilität, Robustheit und Komplexitätsreduktion kann Autodoc seine Position im Strategie-Würfel auf A–B–A verschieben und den nächsten IPO-Anlauf erfolgreich gestalten.