Der Schließmann-Strategie-Würfel – Die dreidimensionale Strategiearchitektur

1. Grundstruktur: Raum + 3 Achsen

1.1 Der Raum: Strategisch relevanter Markt (SRM)

Der gesamte dreidimensionale Raum des Würfels ist der strategisch relevante Markt (SRM).

Der SRM wird definiert durch:

  • originäre Kundenbedürfnisse (OKB),
  • Wertschöpfungsstrukturen,
  • Systemakteure, Rollen, Machtverhältnisse,
  • Technologien, Regulatorik, Ökologie,
  • zeitliche Dynamiken, Szenarien, Interdependenzen.

Der SRM ist ein Systemraum, kein statischer „Markt“.
Hier spielt alles — jedes Unternehmen ist ein Punkt und eine Trajektorie im SRM.

Abbildung: Schließmann-Strategie-Würfel (aufbauend auf Michael Porter)  © 2012-2025.

Der Würfel wirkt wie ein Navigationssystem:
Unternehmen „bewegen“ sich im Raum entlang von Zukunftswegen.


1.2 Die Achsen (die eigentlichen Dimensionen der strategischen Standortbestimmung)

X-Achse – Bedeutung des Unternehmens im SRM

Die X-Achse misst die Bedeutung, also die qualitative und quantitative Relevanz des Unternehmens im strategisch relevanten Markt.

Parameterbeispiele:

  • Marktanteil (quantitativ)
  • Systemrelevanz (qualitativ)
  • Rolle im Wertschöpfungssystem (Taktgeber, Integrator, Nische, Innovator)
  • Kundenzugang & Kundenbindung
  • technologische Einflusskraft
  • Netzwerkeffekte, Plattformbedeutung

Y-Achse – Durchschnittliche Rentabilität im SRM

Die Y-Achse misst die durchschnittliche Rentabilität, die in diesem SRM mit dem jeweiligen Geschäftsmodell erzielbar ist.

Parameterbeispiele:

  • Durchschnittsprofitabilität des Marktsegments
  • Ertragskraft der Wertschöpfungsstufe
  • Wettbewerbsintensität
  • Regulierungseinfluss auf Margen
  • Preis-/Kostenstruktur im SRM
  • Kapitalintensität & Skalierbarkeit

Wichtig:
Dies ist nicht die Rentabilität des Unternehmens, sondern die strukturelle Rentabilität des SRM für sein Geschäftsmodell.


Z-Achse – Lebensfähigkeit (Viabilität)

Die Z-Achse ist die Kerninnovation des Modells.

Sie beschreibt die Lebensfähigkeit des Unternehmens im relevanten System — also die Fähigkeit, langfristig zu überleben, sich anzupassen, Krisen zu absorbieren, Chancen zu nutzen und konsistent Wert zu schaffen.

Parameter sind nie fix, sondern individuell, dynamisch und kontextabhängig.

Typische Viabilitätsparameter (Beispiele):

  • Komplexitätskompetenz
    Fähigkeit, Interdependenzen zu verstehen, zu steuern und systemisch zu denken.
  • Robustheit / Resilienz
    finanzielle Stabilität, Lieferkettenrobustheit, Cyberresilienz.
  • Adaptivität / Innovationsfähigkeit
    Geschwindigkeit der Anpassung, Fähigkeit zur Transformation.
  • Legitimität & License to Operate
    Compliance, Nachhaltigkeit, gesellschaftliche Akzeptanz.
  • Kultur & Führung
    Lernfähigkeit, Fehlerkultur, Leadership.
  • System-Fit
    Passung zum SRM, zu Megatrends, zu Stakeholdern.

Die Z-Achse ist keine Skala — sie ist eine systemische Aggregation vieler variabler Parameter.


2. Warum der Schließmann-Würfel ein Paradigmenwechsel ist

2.1 Bruch mit allen zweidimensionalen Modellen

Klassische Modelle (Porter, BCG, McKinsey, SWOT etc.) sind:

  • statisch,
  • linear,
  • reduktionistisch,
  • meist zweidimensional.

Sie betrachten:

  • Wettbewerbsposition,
  • Kosten-/Differenzierungslogik,
  • Marktattraktivität.

Sie blenden jedoch systemische, komplexitätsbezogene und dynamische Faktoren aus.


2.2 Die dritte Dimension: Lebensfähigkeit

Diese Achse macht das Modell realitätsfähig in komplexen, vernetzten, instabilen Umfeldern.

Schlüsselgedanke:

Ein Unternehmen kann hoch bedeutend (X) und profitabel (Y) sein –
und trotzdem nicht lebensfähig (Z).

Beispiele:

  • Digitale Disruption
  • ESG-/Legitimitätsverluste
  • geopolitische Brüche
  • technologische Sprünge
  • kulturelle Dysfunktion
  • Lieferkettenrisiken
  • Cyberrisiken

Die Z-Achse erfasst genau diese systemische Realität.


2.3 Der Würfel ist vollständig dynamisch

Alle drei Achsen haben keine statischen Parameterkataloge.

  • Die X-Parameter (Bedeutung) werden individuell definiert.
  • Die Y-Parameter (Rentabilität) hängen vom SRM ab.
  • Die Z-Parameter (Viabilität) sind immer kontext- und zukunftsspezifisch.

Daraus folgt:

Der Schließmann-Würfel ist ein offenes, wachstumsfähiges, systemisches Modell — kein Raster.

Er altert nicht, weil er mit jedem neuen SRM und jeder neuen Komplexitätsdimension wächst.


3. Dynamische Systemlogik: Unternehmen bewegen sich im Würfel

3.1 Jeder Zeitpunkt = ein Punkt im Raum

P(t) = (X(t), Y(t), Z(t))
= Bedeutung, Rentabilität, Lebensfähigkeit.

3.2 Zukunft = eine Trajektorie im Raum

Unternehmen zeichnen Bewegungspfade im SRM:

  • Aufstieg in Bedeutung (X↑)
  • Rentabilitätsdruck (Y↓)
  • stärkere Lebensfähigkeit (Z↑)
  • Verlust an Lebensfähigkeit trotz Wachstum (X↑, Z↓)
  • strategischer Kollaps (Y↓, Z stark↓)

4. Vergleich: 2D vs. Schließmann 3D-Würfel

Punkt2D-ModelleSchließmann-Würfel
Dimensionen23
RaumMarkt als VariableSRM als dreidimensionaler Raum
XMarktanteil, WettbewerbsstärkeBedeutung im SRM
YProfitabilität des UnternehmensDurchschnittliche Rentabilität im SRM
ZfehltLebensfähigkeit
Zeitsichtstatischdynamisch
Systemumfeldausgeblendetzentral
KomplexitätStörfaktorViabilitätsfaktor
Anpassbarkeitgeringunbegrenzt (offenes System)
ZielPositionierungÜberleben + Entwicklung

5. Viabilität (Z): Methodische Bestimmung

Die Viabilität eines Unternehmens wird trianguliert über:

1. Systemlandkarte

Parameterdefinition nach Schließmann (Chromosomenmodell):

  • interne Chromosomen (Kultur, Fähigkeiten, Führung …)
  • externe Chromosomen (Marktkräfte, Politik, Technologie …)
  • dynamische Chromosomen (Interdependenzen, Zeitverhalten …)

2. Subjektive Rollenanalyse

  • Stakeholder-Rollen
  • Konsens- & Konfliktfelder
  • systemisches Rollenverhalten (Vester)

3. Interdependenzanalyse

  • Einflussmatrix
  • Stabilitätsanalyse
  • Kipppunkte
  • OntoSpace®-Dynamiken
  • fuzzy-logische Verknüpfungen

4. Viabilitätsformel (situativ)

z.B. V(t)=f(K(t),R(t),A(t),L(t),S(t),…)V(t) = f(K(t), R(t), A(t), L(t), S(t), …)V(t)=f(K(t),R(t),A(t),L(t),S(t),…)

mit:

  • K = Komplexitätskompetenz
  • R = Resilienz
  • A = Adaptivität
  • L = Legitimität
  • S = System-Fit

Alle Parameter werden je Fall individuell operationalisiert, gewichtet und dynamisiert.


6. Das Besondere am Modell

  1. Dreidimensional statt zweidimensional
    – X + Y + Z = relevante strategische Realität.
  2. Systemisch statt linear
    – der SRM als Raum ist die Bühne aller Kräfte, Beziehungen und Dynamiken.
  3. Individuell statt standardisiert
    – alle Achsen sind flexibel parametrisiert, fallbezogen.
  4. Dynamisch statt statisch
    – Strategie = Bewegung, nicht Position.
  5. Viabilität als Leitkategorie
    – ohne Z-Achse sind X und Y reine Vergangenheitsbetrachtung.
  6. Unendlich erweiterbar
    – wächst mit Komplexität, Technologie, Politik, Ökologie – ohne je obsolet zu werden.

Fazit

Der Schließmann-Würfel ist kein erweitertes 2D-Modell,
sondern eine komplett neue Strategiearchitektur:

  • strategisch
  • systemisch
  • dynamisch
  • individuell
  • zukunftsfähig
  • methodisch offen
  • wissenschaftlich fundiert
  • praktisch anwendbar

Er ist das erste Modell, das die komplexe Realität moderner Märkte vollständig abbildet.