Vom Produkt zum Erlebnis: Die maritime Branche im strategischen Wendepunkt

Der Freizeitboot- und Superyachtmarkt bewegen sich zwar im selben Element (Wasser), folgen aber inzwischen sehr unterschiedlichen Logiken – und verändern gerade massiv Strategien und Geschäftsmodelle.

Ich geh das in fünf Blöcken durch und verknüpfe dabei Metstrade-Briefing und den Superyachtforum-Artikel.


1. Marktbild 2025: Zwei sehr verschiedene „Meere“

Recreational / Leisure Boating

  • Schätzungen sehen den globalen Leisure-Boat-Markt 2024 bei rund 46 Mrd. USD, mit moderatem Wachstum von ca. 3–7 % p.a. bis Anfang/Mitte der 2030er.
  • Der breitere Recreational-Boating-Markt (inkl. Motor- und Segelboote, Ausrüstung, Dienstleistungen) wird für 2025 auf ca. 48 Mrd. USD geschätzt, mit erwarteten 10 % CAGR bis 2035 – stark gekoppelt an verfügbare Einkommen und Tourismus.

Superyachten (ca. > 24–30 m)

  • Das Superyachtforum beziffert den Sektor mit 54 Mrd. € Wertschöpfung p.a. – inklusive Neubau, Betrieb, Charter, Brokerage und Refit.
  • Parallel zeigen Marktdaten zum Yachtmarkt (alle Yachten, nicht nur Superyachten) einen Gesamtwert von rund 11,6 Mrd. USD (2024) mit ~6,6 % Wachstumserwartung bis 2030.

Kernaussage:
Wir haben einen breiten Freizeitmarkt mit Millionen Konsumenten und zyklischer Logik – und einen extrem schmalen, kapitalstarken Sonderraum, der sich laut Superyachtforum in wesentlichen Punkten jeder klassischen Marktlogik entzieht.


2. Leisure-Marine: Vom Produktmarkt zum Experience- und Attention-Game

2.1. „Disrupt or be disrupted“ – was Hugelmeyer wirklich sagt

Frank Hugelmeyer (NMMA) rahmt den Markt auf Metstrade sehr klar neu:

  • Massive Veränderungen in Konsumausgaben,
  • eine „neue Welle“ von Konsumenten,
  • und: „All the other industry sectors are our competition; the competition is not in this room.“

Strategisch heißt das:
Der strategisch relevante Markt (SRM) für Bootsunternehmen ist nicht mehr „Bootsbranche“, sondern die gesamte Freizeit- und Erlebniskonkurrenz um Zeit, Aufmerksamkeit und Geld der Kunden (Reisen, Camper-Vans, E-Bikes, Gaming, Luxusreisen etc.).

2.2. Neue Kundengeneration & Informationslogik

Cheryl Brown (Le Boat) illustriert die neue Realität:

  • New-to-boating-Boom: Viele Kunden haben vorher keine Bootserfahrung; sie kommen aus der Sharing- & Plattformökonomie, nicht aus der klassischen Eignerwelt.
  • Reputationsdominanz: Entscheidungen basieren massiv auf Trustpilot, Tripadvisor, Google-Reviews. Wer dort nicht top performt, verliert Nachfrage.
  • AI-basiertes Informationsverhalten: Kunden „poppen in ChatGPT“ und fragen: „What [is] the best boat holiday company?“ – also: die erste Strategie-Schlacht findet in Algorithmen statt, nicht im Prospekt.

Damit verschiebt sich die Wertschöpfung:

Von Produkt- und Preislogik → hin zu Vertrauens-, Plattform- und Suchlogik.

2.3. Beispiel Le Boat / Groupe Beneteau: Plattform statt nur Flotte

Le Boat ist ein Musterfall für neues Geschäftsmodell-Design:

  • 10-Jahres-Deal mit Groupe Beneteau / Delphia, Invest von > £100 Mio., 400 neue Boote, 100 davon in den ersten drei Jahren, inkl. neuem Premium-Modell Liberty.
  • Kombination aus Chartergeschäft und Boat-Ownership-Programm – Kunden können Boote mieten oder in Co-Ownership-Modellen halten.
  • Starker Fokus auf Komfort & Einfachheit („We’re on the journey to simplify boating.“).
  • Einstieg in Nachhaltigkeit & HVO-Fuels für die Flotte als Differenzierungsfaktor.

Geschäftsmodell-Shift:

  • Vom reinen Flottenbetreiber zum zweiseitigen Plattform-Akteur:
    • Upstream eng mit OEM (Beneteau/Delphia) vernetzt, teilweise Co-Development neuer Bootstypen.
    • Downstream als Marke und Plattform für Endkunden, die Erlebnisse buchen, Bewertungen schreiben und zunehmend via KI-Assistenten suchen.

3. Superyacht-Sektor: Antizyklischer „Sonderraum“ mit eigener Logik

Der Superyachtforum-Artikel seziert den Markt als „wirtschaftlichen Sonderraum“, der sich „seiner eigenen Logik entzieht“ – das ist mehr als Rhetorik.

3.1. Antizyklische Nachfrage & Safe-Asset-Logik

  • Während andere Branchen in Krisen einbrechen, ziehen sich Superyacht-Kunden nicht zurück, sondern verschieben Kapital in bewegliche, private Rückzugsräume (Mobilität, Autarkie, Privatsphäre).
  • Die Yacht funktioniert als emotionales „Safe Asset“: ein „Toy“, das aber als Schutzraum und Statussymbol in unsicheren Zeiten gerade attraktiver wird.

Das korrespondiert mit Marktdaten, nach denen der breitere Yachtmarkt nach dem Covid-Boom zwar in Teilen abkühlt, große Neubauten > 30 m aber weiter wachsen (z.B. +70 % im Segment 30–40 m), weil neue vermögende Käufer (v.a. USA) nachrücken.

3.2. Wertschöpfungstiefe & Cluster

Der Artikel zeigt die Industrie als hochverdichtetes Ökosystem:

  • Neubau:
    • 221 ausgelieferte Neubauten erzeugen 7,2 Mrd. € direkten Effekt; jede 80-m-Yacht beschäftigt hunderte Spezialisten und > 1.000 Zulieferer.
    • Europa (Italien, NL, Deutschland) hält ~80 % der Produktion – ein extrem konzentriertes Cluster.
  • Betrieb:
    • Jede der ~6.000 Superyachten generiert im Schnitt 9 Mio. € Wirtschaftsleistung p.a. (Crew, Wartung, Häfen, Betrieb, Reisen).
    • Crewkosten 37 % der Opex, Wartung 20 %, Operation 17 % – Betrieb ist ein stetiger Cash-Motor.
  • Refit & Lifecycle:
    • Alternde Flotten machen Refit mit 2,3 Mrd. € direktem Impact und > 140 Refit-Zentren zu einem strukturellen Wachstumsfeld.
  • Intermediäre:
    • Brokerage-Provisionen (278 Mio. €) & Charter-Kommissionen (250 Mio. €) bilden eigene Monetarisierungsachsen.

Strategische Quintessenz des Artikels:

  1. Neubau bleibt Wachstumskern.
  2. Betrieb ist der Hebel für Effizienz & wiederkehrende Erträge.
  3. Refit ist Return-Multiplikator (Capex-Schonung & Upgrading).
  4. Die Industrie braucht ein neues Narrativ jenseits „Luxusspielzeug“ (Legitimation & Regulierungsdruck).

3.3. Neue Kundengeneration & Ownership-Modelle

  • Käufer werden jünger, kommen aus Tech/VC, sind weniger markentreu und sehen die Yacht als Plattform-Asset statt als ewiges Denkmal.
  • Daraus folgen:
    • Nachfrage nach digitalen Services, Automatisierung, Remote-Management
    • wachsende Akzeptanz von Fractional Ownership, Abomodellen, flexiblen Charter-Setups
    • mehr Druck auf Werften & Manager, schneller zu innovieren als in der klassischen, eher trägen Vergangenheit.

4. Strategie & Geschäftsmodell – was sich konkret verschiebt

4.1. Gemeinsame Treiber in beiden Welten

a) Vom Produkt zur Plattform & Experience

  • Leisure-Marine: Le Boat & Co. verschieben Wertschöpfung hin zu Buchungsplattform, Review-Ökonomie, Ökosystem mit OEMs, Marinas, Versicherern, Touristikern.
  • Superyacht: Multi-Layer-Modell aus Werften, Management-Companies, Family Offices, Charter-Plattformen, Crew-Dienstleistern und Refit-Yards; Asset (Yacht) ist Startpunkt, nicht Endpunkt.

b) Digitalisierung & KI als Kern der Customer Journey

  • Such- und Entscheidungsverhalten verschiebt sich zu Plattformen + KI-Assistants (Brown: ChatGPT-Abfragen für Bootsurlaube).
  • Im oberen Segment kommen dazu Predictive Maintenance, Remote-Monitoring, Data-Driven Insurance-Pricing – mit wachsender Relevanz von Klimarisiken im Underwriting.

c) Nachhaltigkeit & Risiko

  • Versicherer ziehen sich aus Hochrisiko-Regionen zurück; Named-Storm-Exclusions und steigende Prämien verändern die Kostenstruktur für Yacht-Eigentümer und -Flottenbetreiber.
  • Gleichzeitig werden nachweisbar nachhaltige Praktiken (Bau, Betrieb, Treibstoff) zum potenziellen Pricing-Vorteil in der Versicherung und zum Marketing-Asset.

4.2. Business-Model-Evolution im Leisure-Segment

  1. Hersteller-Fokus → Ökosystem-Fokus
    Bootsbauer wie Beneteau wandeln sich vom reinen Produktlieferanten zum Partner in langfristigen Flotten- & Ownership-Programmen (z.B. Delphia/Le Boat-Deal).
  2. Verkauf → „Access“
    • Wachstum über Charter, Timeshare, Club-Modelle, Subscription – gerade für jüngere Zielgruppen ohne Eigner-Ambition.
    • Beispiel Le Boat: Urlaubs-Erlebnis inkl. Routen, Service, digitaler Begleitung; das Boot selbst ist nur ein Modul in einer Servicekette.
  3. Distributionslogik:
    • Sichtbarkeit wird durch SEO, Plattform-Rating, AI-Ranking bestimmt; klassische Messen und Händler bleiben wichtig, aber als Teile einer Omnichannel-Strategie.

4.3. Business-Model-Evolution im Superyacht-Segment

  1. Lifecycle-Monetarisierung
    • Werften verdienen heute nicht nur am Neubau, sondern gezielt an Refit-Zyklen, Service-Verträgen und Technologiestandards, die spätere Upgrades triggern.
  2. Operation & Management als eigenes Geschäft
    • Yacht-Management-Unternehmen orchestrieren Crew, Compliance, Routen, Charter & Refit – oft mit wiederkehrenden Fees auf TCO-Basis.
  3. Fractional / flexible Ownership
    • Neue UHNW-Kohorten wollen Flexibilität: Einstieg mit geringerer Kapitalbindung, Exit-Optionen, Nutzung verschiedener Schiffe. Der Artikel nennt Fractional Ownership und Abo-Strukturen explizit als aufkommende Mainstream-Modelle.
  4. Finanz- & Governance-Layer
    • Family Offices, spezialisierte Vehikel, Steuer- und Flaggenstrukturen bilden einen zusätzlichen Geschäftsmodell-Layer (Strukturierung, Governance, Legal/Tax-Advisory).

5. Vergleich & strategische Implikationen

5.1. Marktlogik

  • Leisure-Marine:
    • stark abhängig von Konjunktur, Zinsen, Konsumlaune;
    • Ziel: Eintrittsbarrieren (Kosten, Komplexität, Führerschein) senken → „Simplify boating“;
    • Wettbewerb im Erlebnis- und Aufmerksamkeitsraum gegen alle anderen Freizeitangebote.
  • Superyacht-Sektor:
    • antizyklisch, vom Top-1 %-Vermögen getrieben;
    • Yachten als emotionale Safe-Assets und Distinktionsplattform;
    • Markt ist mengenmäßig klein, aber wertschöpfungsintensiv und politisch/regulatorisch exponiert.

5.2. Strategischer Fokus

Leisure-Marine-Akteure müssen vor allem:

  1. SRM neu definieren: Relevanter Markt = „Zeit & Geld für hochwertige Freizeit-Erlebnisse am Wasser“, nicht „Motorboote 6–10 m“.
  2. Digitale Kundenschnittstellen & Reviews meistern:
    • Proaktive Steuerung von Bewertungen,
    • AI-optimierte Inhalte,
    • datengetriebene Customer-Journey von Inspiration → Buchung → On-Water-Experience.
  3. Geschäftsmodelle entbündeln: Verkauf, Subscription, Charter, Clubs, Services – und bewusst entscheiden, welche Rolle man in welchem Teil spielt.

Superyacht-Akteure müssen vor allem:

  1. Lebenszyklus-Strategie fahren: Neubau + Betrieb + Refit + Re-Sale orchestriert als integriertes Value-System.
  2. Mit der neuen Käufergeneration mitschwingen:
    • Tech-Affinität, Geschwindigkeit, Transparenz,
    • flexible Ownership-Modelle und Datenservices.
  3. Regulatorik & Legitimationsdruck aktiv bespielen:
    • Nachhaltigkeit & Beschäftigungseffekte offensiv kommunizieren,
    • Klimarisiko & Versicherbarkeit in Design & Betrieb integrieren.

6. Kurzfazit

  • Der Freizeitbootmarkt transformiert sich von einem produktgetriebenen, verhältnismäßig fragmentierten Branchenmarkt zu einem erlebnis- und plattformgetriebenen Ökosystem, in dem KI, Reviews und einfache Zugänglichkeit über Erfolg entscheiden.
  • Die Superyachtindustrie ist ein hochverdichteter, antizyklischer Sonderraum, der entlang des gesamten Lebenszyklus zunehmend industrialisiert und professionalisiert wird und dessen Geschäftsmodelle sich in Richtung Plattform, Lifecycle-Services und flexible Ownership entwickeln.
  • In beiden Welten gilt die Metstrade-Botschaft: „Disrupt or be disrupted“ – wer weiter nur „Boote verkauft“, wird von jenen überholt, die Erlebnisse, Netzwerke und Daten-basierte Services als Kern ihres Geschäftsmodells verstehen.